Die Geschichte der Bönninghardt

Die Bönninghardt und ihre Besiedlungsgeschichte

Bereits in früher Zeit gab es menschliches Leben auf der Bönninghardt. Noch heute sichtbare Zeugen sind die Hügelgräber mit einer Höhe von 50 cm bis 1,50m. Wegen ihrer geringen Höhe sind sie dort für den Laien kaum erkennbar. Diese Hügelgräber gehören zur niederrheinischen Grabhügelkultur aus der Zeit von 2200 – 1800 v. Chr. Die meisten Hügelgräber sind im Laufe der Jahrtausende durch Erosion oder Zerstörung verschwunden. Ein gut erhaltenes, ca. 1,80m hohes Hügelgrab befindet sich südöstlich der ehemaligen Gaststätte Pötters am Rande des großen Waldgebietes „Leucht“.

Hügelgrab am Rande der Leucht

 

Es wurde, wie einige andere, zwischen 1929 und 1931 von dem Prähistoriker Dr. Rudolph Stampfuß erforscht, ohne aber nennenswerte Funde gemacht zu haben. Warum die damaligen Menschen gerade hier gesiedelt haben, ist schnell erklärt. Zwischen der ehemaligen Gaststätte Pötters und dem Hügelgrab an der Leucht befindet sich, am Hof Saueressig, ein zisternenartiges Wasserloch, entstanden in der Eiszeit. Es wird von Niederschlagswasser gespeist.

Das Wasserloch „Wascholl“ am Hof Saueressig

Die Römer unterhielten auf der Bönninghardt, am Höhenweg, zwischen Mühlenweg und der Straße Unterheide ein militärisches Ausbildungslager.

1184 wird die Bönninghardt erstmals mit „Berinkart“ erwähnt. Damals verlieh der Erzbischof von Köln den Höfen von Borth hier den Holzschlag. Aus dem Mittelalter (14. Jahrhundert) gibt es Berichte über die eine oder andere Ansiedlung auf der Bönninghardt, sonst war sie gänzlich unbewohnt. In den umliegenden Gemeinden galt sie als verwahrloste, sandige Heidelandschaft, auf der die Bewohner der anliegenden Gemeinden ihr Vieh weiden ließen.

Heidelandschaft in der Leucht

Erst ab 1769 begann gab es auf der Bönninghardt erste Niederlassungen, konzentrierte Ansiedlungen ab 1772. Es waren überwiegend Pfälzer, die ursprünglich nach Amerika auswandern wollten. Überwiegend siedelten sie sich an den beiden auf der Bönninghardt existierenden Wasserlöchern an: nördlich der heutigen katholischen Kirche, am Haagschen Berg (im Volksmund „Quelle“ genannt), und südöstlich der heutigen B 58, an der Alten Weseler Straße, am Hof Saueressig. Völlig mittellos mussten die Kolonisten hier ihr Leben fristen, Unterstützung von staatlichen oder kirchlichen Behörden gab es nicht. Erschwert wurde ihre Situation noch durch die damalige politische Teilung der Bönninghardt.

Der vage Grenzverlauf zwischen Preußen und Kurköln in der Niederrheinkarte von Christian Sgrooten, 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, im Madrider Atlas, Prado-Museum Madrid.

 

Der südöstliche Teil gehörte dem damaligen Kurfürstentum Köln und der nordwestliche Teil dem preußischen Herzogtum Kleve. Beide „Staaten“ konnten sich über einen genauen Grenzverlauf nicht einigen. Dabei dokumentierte man aber mehr oder weniger zufällig eine ehemalige Galgenstätte der im Mittelalter existierenden Rheinberger Gerichtsbarkeit am Rande der Leucht, an der Einmündung des zu Kamp-Lintfort gehörenden Waldweges in dieses Waldgebiet.

Überreste des Rheinberger Galgen heute

 

Man überließ die Kolonisten sich und ihrem Schicksal. Es gab Streitigkeiten mit den Bauern der Umgebung wegen deren Weidegründe, die nun die Kolonisten für sich beanspruchten. Völlig verarmt, versuchten sie ihren sehr bescheidenen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von selbst gebundenen Besen zu bestreiten. Um zu überleben, bettelten sie in den Nachbarorten um Nahrung. Überwiegend nachts erbaten sie sich von den Bauern etwas Essbares und diese gaben ihnen aus Angst vor Übergriffe. Auch damals gab es also schon so etwas wie Schutzgelderpressungen.

Besenbinderinnen um 1910. Foto: Dr. Erwin Quedenfeld

Während der französischen Besatzungszeit 1794 – 1814 versuchten die französischen Behörden die Situation zu verbessern, indem sie die Bönninghardt an die umliegenden Gemeinden aufteilten. Dies geschah auch auf Bitten und Drängen dieser Gemeinden, denn das Räuberwesen hatte sich hier stark verbreitet. Man hoffte auf diese Weise mehr Kontrolle ausüben zu können und so der Sache Herr zu werden. Doch sie hatten nichts erreicht.

Aufteilung der Bönninghardt, Karte Nr. 7986 von 1808 des Landmessers Willems im LAV Düsseldorf
Napoleonisches Dekret vom 28. August 1810, Titelseite und letzte Seite mit Unterschriften

 

Die Franzosen konnten auch nicht die Armut beseitigen. Die Bönninghardt geriet in Verruf und wurde ein Problem für die Region, zumal sich das lichtscheue Gesindel hier gut verstecken konnte. Erst fast vierzig Jahre später, um 1845-1850 baute der preußische Staat bis zu 30m tiefe Brunnen auf der Bönninghardt. Das war eine Generation nach der ersten Besiedlung. 1851 wurden aus Spenden und Kollekten eine kleine evangelische Schule, 1864 eine katholische Schulvikarie und 1868 die ev. Kirche mit Pfarrhaus errichtet.

Die evangelische Kirche mit Pfarrhaus nach ihrer Fertigstellung. Rechts im Bild die erste ev. Schule

 

Die katholische Schulvikarie vor 1900

Damit erreichte man eine Verbesserung der geistlichen und schulischen Versorgung der inzwischen verwahrlosten Bönninghardter. Es war die Zeit, in der der Räuber Wilhelm Brinkhoff hier sein Unwesen trieb. Der Bau der Eisenbahnlinie Venlo-Wesel-Haltern im Jahre 1873 brachte kurzfristig Arbeitsplätze, gab den Bönninghardtern aber auch die Möglichkeit, zu weiter entfernt gelegenen Arbeitsplätzen zu gelangen. Ein Bahnhofsgebäude gab es aber erst ab 1903. Ab dieser Zeit gab es auch Düngemittel und Saatgut, sodass der karge Boden nun landwirtschaftlich besser genutzt werden konnte.

Bahnhofsgebäude nach seiner Fertigstellung 1903

Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert waren die Plaggenhütten verschwunden. Es gab Häuser aus Stein, wenn auch in sehr bescheidener Ausführung.

Erster Bauversuch eines Steinhauses, im Bild: Theodor Dröttboom, um 1890
Die letzte Strohkate auf der Bönninghardt
Eine kleine Bönninghardter Katstelle

 

Gewerbe und Industrie versuchten sich hier niederzulassen, doch nur eine Dachpappenfabrik, die sich 1903 gründete, hatte eine Existenz bis in die 1960er Jahre. So blieb den Bewohnern überwiegend nur die Arbeit als Tagelöhner in Land- und Forstwirtschaft oder sie mussten sich Arbeit in weiter entfernten Betrieben suchen. 1902 wurde eine katholische Schule (heute JUBO-Heim), 1907 eine zweite evangelische Schule  (heute Bönninghardtschule) und 1910 eine weltliche Schule am Mühlenweg (heute Fa. Hensen) gebaut.

Die katholische Heideschule nach ihrer Fertigstellung

Es begann eine Intensivierung der Landwirtschaft. Heideflächen wurden gerodet und so entstanden mit Wasser und Kunstdünger im Laufe der nächsten Jahrzehnte fruchtbare Wiesen und Felder.

Ackerbearbeitung (hier: Kartoffeln bewerfen), um 1910  Foto: Dr. Erwin Quedenfeld

Allmählich begann auf der Bönninghardt ein wirtschaftlicher Aufstieg. Kleine und mittelgroße Gewerbebetriebe haben sich bis in die jetzige Zeit erhalten. Um 1955 entstand am Hoerstgener Weg eine größere Siedlung für ostpreußische Aussiedler, die Straßen wurden ausgebaut. Nur der Bahnverkehr wurde nach der Zerstörung der Rheinbrücke im 2. Weltkrieg eingestellt. Heute leben auf der Bönninghardt die Nachkommen der ursprünglichen Pfälzer, aber auch viele Neubürger, die die Schönheit und Ruhe dieser Landschaft zu schätzen wissen. Alte Flur- und Straßennamen – wie Helterdick, Besenbinderweg, Berinkart, Gejtekull – und vereinzelt noch ursprüngliche Anwesen erinnern noch an die alten, armseligen Zeiten der ersten Besiedlung.

Bönninghardt mit ev. Kirche und Bönninghardtschule im Jahre 2008